Future Asset Allocation
„Quoten für Sachwerte sind nicht mehr zeitgemäß“
Zu niedrig und willkürlich gewählt – Karsten Müller-Uthoff, Experte für Versorgungswerke, hält die Quoten in der Anlageverordnung für überholt. Lesen Sie, warum Nachhaltigkeit wichtig ist und welche Rolle sie spielt und spielen sollte.
Navigation
Die Anlagewelt für Versorgungswerke hat sich vollkommen verändert: Sie ist komplexer und vielfältiger geworden, externe Expertise ist gefragter denn je. Karsten Müller-Uthoff kennt das Kapitalanlageverhalten institutioneller Investoren seit Jahrzehnten. Er sieht in der neuen Komplexität auch große Chancen. Allerdings müsste auch der Regulator seinen Teil dazu beitragen, damit Versorgungswerke diese Vielfalt auch nutzen können. Zudem geht Müller-Uthoff im Interview zur aktuellen Wealthcap Studie „Future Asset Allocation – Resilienz in der institutionellen Anlage“ darauf ein, was die Versorgungswerke von den Pensionskassen im Kern unterscheidet.
Karsten Müller-Uthoff ist Diplom-Kaufmann, Steuerberater und Experte für die institutionelle Kapitalanlage, gerade auch für Versorgungswerke. Er ist selbstständiger Berater und Mitglied in Bei- beziehungsweise Aufsichtsräten verschiedener Unternehmen. Nach ersten beruflichen Stationen in der Vermögensverwaltung namhafter Versicherungen war er bis 2015 Geschäftsführer der Ärzteversorgung Niedersachsen (AEVN) sowie Sprecher des Arbeitskreises Vermögensanlagen bei der Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV).
KARSTEN MÜLLER-UTHOFF Schwieriger oder einfacher kann man nicht sagen. Sie hat sich komplett verändert. Auf der einen Seite ist sie wesentlich komplexer geworden: Staatsanleihen und Pfandbriefe reichen für eine auskömmliche Rendite einfach nicht mehr aus. Man muss sich wesentlich mehr mit Anlagealternativen befassen, auch mit illiquiden Assets. Und ständig kommen neue Produkte auf den Markt, mit denen man sich beschäftigen muss. Es ist also mehr Aufwand.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch wesentlich mehr Angebot in diesen Bereichen, und es ist besser zugänglich als früher. Im Netz stehen viel mehr und aktuellere Informationen zur Verfügung. Zudem gibt es Sekundärmärkte, die immer liquider werden. Ansprechpartner sind nun statt Banken spezialisierte Asset-Manager und Kapitalverwaltungsgesellschaften. Es ist vielfältiger geworden, spannender.
Größere institutionelle Investoren können die dafür nötigen Kapazitäten auch intern abbilden. Für kleinere Versorgungswerke oder Pensionskassen ist jedoch der Aufwand oftmals zu groß. Dort fehlt es sowohl an Kapazitäten als auch oftmals an der nötigen Expertise. In den Ausschüssen sitzen nun mal ehrenamtliche Vertreter der jeweiligen Berufsstände, und das sind zumeist keine Kapitalmarktexperten. Dann führt kaum ein Weg an ergänzender Beratung durch Spezialisten vorbei.
KARSTEN MÜLLER-UTHOFF Nur mit Sachwerten kommt man gegen die schleichende Geldentwertung durch niedrige oder gar negative Kapitalmarktzinsen bei relativ hoher Inflation an. Immobilien, Aktien, Private Equity, Infrastruktur und andere Assetklassen nehmen daher sukzessive mehr Raum in den Portfolios ein als früher, als hauptsächlich in festverzinsliche Wertpapiere investiert wurde. Ein Ende dieser Entwicklung ist aktuell nicht absehbar, die inflationsbereinigten Zinsen dürften noch für längere Zeit negativ bleiben.
Investoren bleibt daher gar keine andere Wahl, als sich auf Sachwerte zu konzentrieren, selbst wenn auch dort die Preise inzwischen stark gestiegen und die Renditen entsprechend gesunken sind. Diese Anlagestrategie wird sich fortsetzen. Für die Kollateralschäden der Niedrigzinspolitik zahlt die Gesellschaft, zum Beispiel indem das Wohnen immer teurer wird und die Altersvorsorge immer schwieriger. Mit der Zeit ändert sich aber auch die Sicht auf manche Formen der Kapitalanlage: Private Equity gilt heutzutage – anders als früher – als etablierte Assetklasse.
KARSTEN MÜLLER-UTHOFF Die derzeit wichtigste Herausforderung ist die Renditefrage: Eine auskömmliche, risikoadäquate Rendite trotz niedriger Kapitalmarktzinsen ist die wichtigste Voraussetzung für Altersvorsorge und Vermögensaufbau überhaupt. Hinzu kommt jetzt das Thema Inflation und die noch weiter gesunkenen negativen Realzinsen.
Ein Dauerthema ist natürlich die Regulierung. Während für Versicherungen Solvency II eingeführt wurde, unterliegen Versorgungswerke und Pensionskassen noch immer der Anlageverordnung, die seit Jahrzehnten kaum angepasst wurde und einer Generalüberholung bedarf. Darin ist von Assetklassen die Rede, die derzeit kaum noch den Weg ins Portfolio finden, während für die wichtigen Sachwerte die Höchstquoten zu niedrig sind und letztlich alle Begrenzungen willkürlich gesetzt wurden. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Das Thema Nachhaltigkeit und ESG erfordert ebenfalls immer mehr Aufmerksamkeit, ebenso wie Investitionen in erneuerbare Energieanlagen.
KARSTEN MÜLLER-UTHOFF Das ist richtigerweise – insbesondere bei Neuanlagen – zu einem wesentlichen Investitionskriterium geworden. Nachhaltigkeit ist kein Nebenaspekt mehr, sondern ein dominantes Ziel. Je mehr jüngere Generationen in den Gremien von Versorgungswerken und anderen Investorengruppen nachrücken, desto entscheidender wird es. Die Entscheidungsträger dort erwarten Antworten auf Fragen nach einer nachhaltigen, ethisch und ökologisch verantwortungsvollen Anlagestrategie. Und sie erwarten laufendes Monitoring. Wer keine guten Argumente hat, etwa zum Klimawandel, gerät in Erklärungsnot. Wie nachhaltiges Investieren im Einzelnen auszusehen hat und ob zum Beispiel die Kernenergie dazugehört, darüber gibt es noch keinen Konsens und auch keine gesetzlichen Vorgaben. Jeder Investor setzt andere Akzente. Aber: Mit Greenwashing wird man vermutlich nicht mehr durchkommen.
KARSTEN MÜLLER-UTHOFF Widerstandsfähig bedeutet in erster Linie weniger Risiken. Deshalb ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium, da andernfalls Risiken drohen, die ganze Gesellschaften in tiefe Krisen stürzen können, zum Beispiel aufgrund von Reputationsrisiken. Ein weiterer Punkt ist die Volatilität, die viele Anleger möglichst begrenzen wollen. Gleichzeitig soll natürlich auch eine auskömmliche Rendite erwirtschaftet werden. Wie die Investoren damit im Detail umgehen, hängt von ihrem jeweiligen Risikoprofil ab. Versorgungswerke sind langfristig orientierte Investoren. Sie müssen abwägen, was zu ihrem Versorgungsauftrag und zu ihrer Reputation passt. Ergänzend ist eine Risikostrategie festzulegen, aus der hervorgeht, welche Risiken komplett vermieden oder zumindest begrenzt werden sollen. Auch opportunistische Strategien mit kurz- und mittelfristigen Anlagen können Langfriststrategien ergänzen, um Marktchancen oder liquide Sekundärmärkte auszunutzen.
Die gewählten Risikostrategien sollten zudem in der Lage sein, auf neue Risiken oder veränderte Risikokonstellationen angemessen und flexibel zu reagieren. Dazu gehören aktuell zum Beispiel die seit einiger Zeit zu beobachtende Inflation und die damit verbundenen Zinserhöhungsrisiken sowie jüngst aufgetretene geopolitische Risiken und damit einhergehend die Veränderung von Warenströmen und Dienstleistungen.
KARSTEN MÜLLER-UTHOFF Ein Hauptgrund dürfte in der Regulatorik liegen: Pensionskassen und Versorgungswerke unterliegen der bereits kritisierten Anlageverordnung mit ihren eigentlich starren Höchstanlagequoten. In der Aufsichtspraxis jedoch gibt es Unterschiede: Pensionskassen werden von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nach bundesweit einheitlichen Kriterien beaufsichtigt, die streng einzuhalten sind. Bei den Versorgungswerken hingegen obliegt die Aufsicht den Bundesländern, und hierbei ist die Handhabe von Bundesland zu Bundesland deutlich unterschiedlich. Dabei können auch individuelle Verhältnisse bei Limitüberschreitungen wie zum Beispiel durch starkes Bilanzwachstum berücksichtigt werden.
Manche Länder folgen in der Aufsichtspraxis einfach einem Vorreiter, und das ist häufig Nordrhein-Westfalen. Erfreulicherweise hat sich NRW etwas flexibler gezeigt in der Auslegung der Anlageverordnung, zum Beispiel durch die Einführung von Öffnungsklauseln oder einer Infrastrukturquote. Versorgungswerken kommt also die etwas größere Flexibilität durch die Länderaufsicht zugute. Gleichwohl wird darauf geachtet, dass sich kein Gefälle in der Aufsichtspraxis ergibt.