Future Retail
Der Handel muss zum Kunden
Früher kam der Kunde zum Handel. Heute sucht der Handel den Weg zum Kunden. Doch was bedeutet das für Handelsimmobilien und somit für Sie als Investor?

Wie sollten sich Einzelhändler positionieren, um angesichts des rasanten Wandels in den Einkaufs- und Konsumgewohnheiten wettbewerbsfähig zu bleiben? Warum funktionieren hippe Einzelhandelskonzepte nicht an jedem Standort? Und was sind die Konsequenzen für Handelsimmobilien und Immobilieninvestoren? Genau das diskutierten BBE-Geschäftsführer Joachim Stumpf, Theresa Schleicher vom Zukunftsinstitut und Wealthcap Geschäftsführerin Gabriele Volz im Rahmen des Wealthcap Business Dialogs während der ExpoReal 2019. Damit beschäftigt sich auch die nun veröffentlichte Wealthcap Studie „Future Retail. DNA des Erfolges. Das Erfolgsgeheimnis zukunftsstarker Handelsstandorte“.
Gesellschaftliche Megatrends verändern nachhaltig unser Einkaufs- und Konsumverhalten. Die Digitalisierung und die damit wachsende Bedeutung des E-Commerce ist nur einer dieser Trends, wenn auch ein bedeutender. „Ein weiterer Megatrend ist die wieder erstarkte Urbanisierung“, sagt Theresa Schleicher, Trendforscherin vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main. „Viele Menschen zieht es zurück in die großen Städte – und zwar bevorzugt in die urbanen Innenstadt- und Gründerzeitquartiere.“
Dort erwarteten sie eine große Vielfalt auf kleinem Raum und kurze Wege. Weite Fahrten zum Einkaufen würden seltener akzeptiert, das eigene Auto verliere an Bedeutung. Die Auswirkung auf den Einzelhandel: „Über Jahrzehnte lautete die Schlüsselfrage: Wie kommt der Kunde zum Handel? Sei es die Einkaufsstraße in der Innenstadt, die Shopping Mall oder das Fachmarktzentrum am Stadtrand: Die Pkw-Verkehrsanbindung und die Zahl der Parkplätze waren die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Doch jetzt lautet die Schlüsselfrage immer häufiger: Wie kommt der Handel zum Kunden?“ Das gelte zum einen für den E-Commerce und die Frage der letzten Meile bei der logistischen Abwicklung, aber auch für den stationären Einzelhandel, wie Theresa Schleicher beobachtet.
Das ideale Handelskonzept muss zuerst zum Standort passen
Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, teilt diese grundsätzliche Auffassung. Zwar schränkt er etwas ein: „Das gilt allerdings nicht für jede Stadt und Lage. Auch ein Fachmarktzentrum oder ein SB-Warenhaus auf der grünen Wiese kann erfolgreich sein, wenn Sortiment und Einkaufserlebnis zum Umfeld und dem Kundenpotenzial passen.“ Der Trend geht jedoch zu urbanen Lagen, die von einem großen Kundenpotenzial schnell und einfach zu erreichen sind – sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr. Je kurzfristiger der Bedarf, wie bei Lebensmitteln oder Drogerieartikeln, desto stärker ist dieser Trend.
Handelsflächen für Artikel des mittel- und längerfristigen Bedarfs, beispielsweise im Textileinzelhandel, stehen jedoch unter einem besonders hohen Anpassungsdruck durch den E-Commerce-Boom. Die großen stationären Händler konzentrieren sich zumeist auf die High Street in der Innenstadt oder die größeren Shopping-Malls. Entsprechend fallen für einen Großteil der potenziellen Kundschaft nennenswerte Anfahrtswege an. Dafür erwarten viele Kunden dann auch ein ganz besonderes Einkaufs- und Aufenthaltserlebnis. Dies zu bieten ist eine mögliche Strategie, um gegen die Online-Händler dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben und die Kunden davon zu überzeugen, lange Wege in Kauf zu nehmen. Doch auch hier heißt es, genauer hinzusehen, meint Joachim Stumpf. „Hippe Handelskonzepte funktionieren nur an den passenden Standorten, eher in der Großstadt als auf dem Land.“
Wie immer zähle auch für Handelsimmobilien an erster Stelle die Lage, unterstreicht Stumpf. „Gerade in Zeiten des Umbruchs trennt sich die Spreu vom Weizen. Mitunter machen nur wenige Meter den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg eines Handelsobjekts aus.“ Eine entsprechende Expertise des Investors beziehungsweise seines Investment-Managers sowie eine genaue Analyse von Einzelhandelsstandorten bis in die Mikrolage hinein sind mithin unverzichtbar. Hinzu kommt jedoch noch ein weiteres Rezept für möglichst große Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit einer Handelsimmobilie: Flexibilität.
Flexibilität ist das Patentrezept gegen Leerstand
Je größer der potenzielle Nutzer- beziehungsweise Mieterkreis einer Fläche, desto niedriger das Leerstandrisiko. Das kann zum einen bedeuten, in schwierigen Fällen über eine Alternativnutzung wie zum Beispiel Logistik, Büro oder ein Fitnessstudio nachzudenken. „Zum anderen stellen wir aber auch fest, dass sich zunehmend Akteure um hochwertige Flächen bemühen, die wir vor einigen Jahren noch nicht am Handelsimmobilienmarkt gesehen haben“, erklärt Joachim Stumpf und verweist exemplarisch auf zahlreiche Premium-Automobilhersteller wie Daimler oder Tesla, die in der High Street repräsentative Showrooms eröffnet haben. Für solche Zwecke muss die Fläche natürlich geeignet sein. Doch der Vermieter sollte alternativen Konzepten gegenüber ebenfalls offen sein und sich nicht allzu stark auf den klassischen Einzelhandel beschränken.
Markenpräsentation sowie Verzahnung von Online und Offline
„Einzelhandelsflächen dienen längst nicht mehr nur dem reinen Warenverkauf, sondern immer stärker auch der Markenpräsentation – ganz unabhängig davon, ob der Umsatz dann auf der Fläche geschieht oder an anderer Stelle“, bestätigt Theresa Schleicher. Gleichzeitig schreitet die Verzahnung von Online und Offline – die Zukunftsforscherin spricht in vielen Fällen bereits von einer „Symbiose“ – zügig voran. Ob sich dabei ein stationärer Händler in die Welt des Internets wagt oder umgekehrt ein Online-Händler erste Filialen eröffnet, unterscheidet sich dabei genauso von Fall zu Fall wie die Antwort auf Frage, ob der Verbraucher sich erst im Internet informiert und dann stationär einkauft oder umgekehrt „Beratungsraub“ im stationären Handel begeht, um anschließend online zu bestellen.

Future Retail - DNA des Erfolges. Erfolgsgeheimnis zukunftsstarker Handelsstandorte
Sharing Economy, Mobilitätswende, Urbanisierung: Im Sog dieser und weiterer Megatrends befindet sich der Einzelhandel in einer tiefgreifenden Transformation. Der stationäre Einzelhandel wird sich in einer digitalisieren Welt behaupten – die Frage ist nur, wie und wo. Die Erfolgsfaktoren haben wir gemeinsam mit den Spezialisten der BBE Handelsberatung und weiteren Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis untersucht. Das Ergebnis ist die Wealthcap Studie „Future Retail – DNA des Erfolges. Erfolgsgeheimnis zukunftsstarker Handelsstandorte“ mit dem speziell entwickelten Wealthcap Scoring.
Nachhaltigkeit nicht unterschätzen
Wo liegt das größte Fehlerpotenzial für Einzelhändler und Investoren? Theresa Schleicher ist sich sicher: „Das Thema Nachhaltigkeit zu unterschätzen.“ Der Textilhandel werde sich von der „Fast Fashion“-Welle verabschieden müssen, im Lebensmittelhandel würden die Grenzen zwischen konventionellen Supermärkten, Discountern und Bio-Märkten zunehmend verschwimmen. Auch mit Blick auf die Immobilie wachsen die Anforderungen: Der klassische einstöckige Discounter mit großem Parkplatz oder die weitläufigen SB-Warenhäuser und Fachmarktzentren sind aufgrund ihres hohen Flächenverbrauchs in vielen Kommunen nicht mehr gern gesehen. Hier sind alternative Konzepte gefragt. Zugleich ist gerade das Thema Nachhaltigkeit auch eine Chance für den Einzelhandel: „Die Nachfrage nach lokal und nachhaltig produzierten hochwertigen Produkten wächst“, sagt Joachim Stumpf – eine Botschaft, die dem lokalen Fachhandel langfristig gute Aussichten beschert, sofern die Lage und Erreichbarkeit stimmen.
Bei allen Herausforderungen stellen Einzelhandelsimmobilien nach wie vor eine attraktive Assetklasse für Investoren dar. Allerdings gilt es – mehr noch als bei anderen Nutzungsarten – sehr genau hinzuschauen. Viele Geschäftsmodelle, die früher praktisch Selbstläufer waren, funktionieren nicht mehr von allein und sind deshalb kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig entstehen neue Ideen und Strategien, ältere Geschäftsmodelle werden neu entdeckt. „Ein pauschales Erfolgsrezept für eine so heterogene Branche wie den Einzelhandel kann es nicht geben“, sagt Wealthcap Geschäftsführerin Gabriele Volz. Für ein erfolgreiches Investment komme es deshalb auf Detailkenntnis und Analysekompetenz an.