Zwischen Boom und Neubewertung
Wie die Notenbanken einen
Immobilienboom lostraten
An den Immobilienmärkten sind seit einiger Zeit Verwerfungen zu beobachten. Wealthcap analysiert die Ursachen und was das für Büroimmobilieninvestments in Zukunft bedeutet. Lesen Sie im ersten Teil die Vorgeschichte.

Inhalt der Themenreihe
Die aktuellen Verwerfungen an den Immobilienmärkten haben eine lange Vorgeschichte: Gut zehn Jahre ging es mit den Bewertungen an den Immobilienmärkten stetig bergauf. Während die Ankaufsrenditen immer tiefer sanken, floss immer mehr Kapital in die Assetklasse Real Estate. Angesichts negativer Realzinsen und zum Teil auch Nominalzinsen blieb Investoren praktisch gar nichts anderes übrig, als in Real Assets wie Immobilien zu investieren - bis das Pendel plötzlich in die andere Richtung schwang.
„Wer sich auf Spurensuche zur Vorgeschichte der aktuellen Lage an den Immobilienmärkten begibt, muss weit zurückblicken“, sagt Julian Lal, Spezialist Marktresearch bei Wealthcap. „Im Grunde begann alles im Herbst 2008.“ Infolge der Subprime-Krise an den US-Immobilienmärkten und der daraus folgenden Weltfinanzkrise, die zunächst im Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers gipfelte, hatten am 8. Oktober 2008 die weltweit führenden Notenbanken in einer konzertierten Aktion ihre Leitzinsen gesenkt, darunter die Europäische Zentralbank (EZB), die ihren Hauptrefinanzierungszinssatz um 50 Basispunkte von 4,25 auf 3,75 % verringerte. Im folgenden Halbjahr schlossen sich etliche weitere Zinsschritte an, bis der EZB-Leitzins im April bei 1,0 % landete, der Einlagezins sogar bei 0,25 %.
„Seither befanden wir uns in einem Umfeld teils historisch niedriger Zinsen“, blickt Lal zurück. Zwar gab es 2011 ein kurzes Intermezzo mit steigenden Zinsen. Doch infolge der Euro-Schuldenkrise, die sich nahtlos an die Weltfinanzkrise anschloss, sah sich die EZB dazu veranlasst, sogar noch weiter zurückzugehen. Ab 2016 schließlich lag der Hauptrefinanzierungssatz bei 0,0 % und der Einlagezins war sogar nominal negativ. Gleichzeitig erhöhte die EZB unter anderem durch Anleihekäufe massiv die Liquidität im Markt (siehe Abbildung 2). Beides sollte dazu dienen, ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung zu verhindern. Diese Liquidität galt es irgendwo zu allokieren.
„Einher ging diese extrem expansive Geldpolitik mit erstaunlich niedriger Inflation, einer überwiegenden stabilen, positiven Konjunkturentwicklung mit relativ geringer Arbeitslosigkeit“, erläutert Lal weiter, „ein Umfeld, das in der Ökonomie als ‚Goldilocks-Szenario‘ bezeichnet wird.“ Allerdings betraf diese niedrige Inflation in erster Linie die Verbraucherpreise. Die Preise für Vermögenswerte hingegen gingen in dieser Phase deutlich in die Höhe - gerade auch für Sachwerte wie zum Beispiel Immobilien.
„Das lässt sich fundamental gut begründen“, erklärt Kristina Mentzel, Leiterin Vertrieb, Marketing & Kommunikation, Produktstrategie bei der Wealthcap. „Vor allem die Anleiherenditen sind in dieser Zeit deutlich gesunken, zum Teil waren sie auch nominal negativ. Mit jedem Laufzeitende mussten Investoren auslaufende Anleihen in ihrem Portfolio durch deutlich niedriger verzinste Anleihen ersetzen. Je länger die Niedrigzinsphase also dauerte, desto größer wurde der Druck, dabei auf Alternativen mit höheren Renditen auszuweichen, ohne allzu große Risiken einzugehen. Dabei boten sich vor allen Immobilien an, weil diese nicht nur Potenzial für Wertsteigerungen haben, sondern durch die Mieteinnahmen auch einen vergleichsweise stabilen Cashflow generieren. Das ist vor allem für diejenigen institutionellen Investoren wichtig, die ihrerseits regelmäßige Zahlungen an ihre Leistungsempfänger überweisen müssen.
Die Folge war eine stark steigende investorenseitige Nachfrage, vor allem nach Core-Immobilien in großen Städten - und damit einhergehend auch steigende Preise. Zwar stiegen in demselben Zeitraum auch die Mieten, aber weniger stark als Kaufpreise und Bewertungen. Daraus wiederum folgten sinkende Ankaufsrenditen. Mentzel erläutert weiter:

Investoren haben die jahrelang starke Renditekompression aus drei Gründen in Kauf genommen: Erstens, weil es kaum Alternativen gab. Zweitens, weil der Renditeabstand zum „risikolosen“ Zins, wie zum Beispiel deutsche Staatsanleihen, stabil blieb oder sogar größer wurde. Und drittens, weil die niedrigen Finanzierungskosten die Hebelwirkung von Fremdkapital begünstigten, wodurch sich höhere Eigenkapitalrenditen erzielen ließen. Dieser Effekt schwächte sich allerdings mit der Zeit ab, da die Zinsen irgendwann nicht mehr weiter sanken.Kristina Mentzel Leiterin Vertrieb, Marketing & Kommunikation,
Stellvertretend für den Gesamtmarkt hat Wealthcap diese Entwicklung auf den Büroimmobilienmärkten in den sieben größten deutschen Städten (Top: Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf) nachvollzogen.
So zeigt Abbildung 3 diese Preisentwicklung für Büroimmobilien in den Top-7-Städten Deutschlands, ausgedrückt als Vielfaches des prognostizierten Nettojahreskaltmiete - auch „Ankaufsfaktoren“ genannt. Diese Angabe ist deswegen sehr aussagekräftig, weil sie den Preis in Relation zu den erzielbaren Mieteinnahmen setzt - im Gegensatz zu einem fixen Quadratmeterpreis. Es wird ersichtlich, dass sich die Faktoren über viele Jahre innerhalb einer relativ engen Bandbreite bewegten. Doch ab 2015 setzte ein deutlicher Preisschub ein.
Das geschah erst relativ spät, denn zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere Jahre mit niedrigen Zinsen vergangen und die Leitzinsen im Euroraum lagen bereits ab 2016 auf ihrem Tiefpunkt. Das zeigt, dass die Immobilienmärkte doch noch immer relativ träge auf Veränderungen reagieren. Trotzdem ist der enorme Anstieg der Ankaufsfaktoren in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre nicht zu übersehen. „Auf dem Höhepunkt im Jahr 2021 mussten Investoren fast doppelt so viele Jahresmieten auf den Tisch legen als noch 2008“, sagt Lal. „Auch die – damals zumeist niedrige – Inflation ist bei dieser Berechnung bereits durch die Mieten berücksichtigt. Der Preis für ein Investment in Büroimmobilien hatte sich schlichtweg innerhalb von etwas mehr als einem Jahrzehnt verdoppelt.“
Spiegelbildlich zu den Ankaufsfaktoren entwickelten sich die Ankaufsrenditen – sie sind, vereinfacht gesagt, ihr Kehrwert: Dauert es 20 Jahre, bis sich ein Ankaufspreis allein durch die Nettokaltmieteinnahmen amortisiert hat, so beträgt die Mietrendite 1/20 oder 5 %. Auch hier zeigt sich, wie Abbildung 4 dokumentiert, der kontinuierliche Rückgang der Nettoanfangsrenditen (Ankaufsrenditen abzüglich Nebenkosten) von Büroimmobilien in den Top-7-Städten ab dem Jahr 2009, der sich ab 2014 deutlich beschleunigte und erst 2021 endete. Müssten Büroinvestments damit nicht kontinuierlich an Attraktivität für Investoren verloren haben? Das Gegenteil ist der Fall, denn zugleich ist der Abstand etwa zur Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit nicht gesunken, sondern war sogar höher als in früheren Zeiten.
Maßgeblich für die sinkenden Nettoanfangsrenditen waren insbesondere auch die immens angestiegenen Preise für Grundstücke, die sich über die Lagen hinweg seit Beginn der Niedrigzinspolitik zwischen 2015 und 2022 im Schnitt nahezu verdoppelt haben (Abbildung 5 – hier dargestellt für Einfamilienhäuser).
„Was kontraintuitiv zu sein scheint, lässt sich leicht erklären: Der Renditeabstand zu anderen Assetklassen ist für Investoren ein wichtiges Preiskriterium, vor allem in Hinblick auf die Risikoabwägung“, so Lal weiter. „Man kann deshalb auch umgekehrt argumentieren: Nicht, dass die steigenden Preise zu sinkenden Renditen führten, sondern dass unter der Annahme stabiler oder gar steigender Mieten eine sinkende Ankaufsrendite rein rechnerisch zwingend zu einer steigenden Bewertung führten musste. Im Prinzip sind beide Sichtweisen vertretbar.“
Ab 2022 hat sich das Umfeld niedriger Zinsen und stetig steigender Immobilienpreise (bzw. sinkender Ankaufsrenditen) schlagartig verändert. Auslöser war ein rapider, in diesem Tempo in der Euro-Zone noch nicht dagewesener Zinsanstieg, der am 14. September 2022 einsetzte. Bis zum 20. September 2023 erhöhte die EZB den Hauptrefinanzierungszinssatz in zehn Schritten von 0,0 % auf 4,5 % (vgl. Abb. 1.2.). Andere Notenbanken taten es ihr gleich. Damit bekämpften sie den ab Ende 2021 einsetzenden starken Inflationsanstieg, der wiederum als eine Spätfolge der Corona-Pandemie – verstärkt durch den Anfang 2022 erfolgten Angriff Russlands auf die Ukraine – darstellte.
Mit dem Rückgang der Inflation haben die EZB und andere Notenbanken wie die US-Notenbank Fed inzwischen Spielräume für erste Zinssenkungen genutzt. Seit dem jüngsten EZB-Zinsentscheid am 05. Juni 2025 liegt der Hauptrefinanzierungssatz im Euroraum bei 2,15 % und der Zins der Einlagefazilität bei 2,00 %. „Der rapide Zinsanstieg ab Sommer 2022 hat für schwere Erschütterungen an den Immobilienmärkten gesorgt“, fasst Lal zusammen. „Viele Marktteilnehmer hatten offenbar gar nicht mehr damit gerechnet, dass die Zinsen auch mal wieder steigen können – und noch dazu so stark und in so kurzer Zeit.“
„Auch wenn die jüngsten Zinssenkungen wieder für etwas Entspannung gesorgt haben: Das hier beschriebene Niedrigzinsumfeld wird bis auf Weiteres nicht zurückkehren“, so Mentzel. „Das muss man nicht bedauern. Aber man muss sich auf ein fundamental verändertes Marktumfeld einstellen und daraus zum Teil auch Konsequenzen für die eigene Anlagestrategie ziehen.“
Festzuhalten ist, dass sich retroperspektiv betrachtet wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Entwicklung am Büroimmobilienmarkt ableiten lassen, die zu bestimmten Zeitpunkten in der Vergangenheit aufgrund unvorhersehbarer Geschehnisse jedoch so nicht in dem Umfang abzusehen waren. Umso entscheidender ist daher„ richtungsweisende Schlüsse zu ziehen und Ableitungen für die Zukunft zu treffen. Im nächsten Teil erfahren Sie daher, wie unter anderem die Zinswende und konjunkturelle Einflussfaktoren in diesem Zuge die Rahmenbedingungen des Büroimmobilienmarktes verändern und was dies für den Markt bedeutet.
Redaktionsschluss 30.06.2025.