Zwischen Boom und Neubewertung Teil 3
Zeitwende am Büromarkt
Zweifellos hat das veränderte Zins- und Kapitalmarktumfeld ab 2022 die Büroimmobilienmärkte stark verändert. Doch das ist nicht alles: Gleichzeitig durchläuft das „Produkt Büro“ auch einen strukturellen Wandel, der insbesondere seit der COVID-19-Pandemie augenfällig geworden ist. Lesen Sie, wie die Kombination beider Effekte frühere Gewissheiten ins Wanken gebracht hat.

Die jüngsten Umbrüche an den Büromärkten sind nicht zuletzt auf exogene, vor allem von Zinsentwicklungen getriebene Faktoren zurückzuführen. Wealthcap hat bereits in zwei Beiträgen dieser Büromarkt-Reihe gezeigt, wie stimulierend die jahrelange Niedrigzinsphase gewirkt hat und wie sich an der Cash-on-Cash-Rendite die multiplen Auswirkungen des anschließenden Zinsschocks ablesen lassen. Doch eine rein zins- und kapitalmarktgetriebene Betrachtungsweise würde unterschlagen, dass Immobilienmärkte auch Märkte „sui generis“ sind – Märkte, die von Angebot und Nachfrage nach einem konkreten und schwer substituierbaren Produkt abhängen. Doch auch hierbei gibt es einen tiefgreifenden Wandel.

Angebot und Nachfrage lässt sich bei Büroimmobilien aus zwei Perspektiven betrachten: aus Investoren- und aus MieterperspektiveRalf FröbaInvestment Manager bei Wealthcap
In den beiden vorangegangen Artikeln hat sich Wealthcap in erster Linie mit der Investorenperspektive befasst. „Die Bewertung von Immobilien hängt aber von zwei Faktoren ab: den Erwartungen der Investoren an die Cashflow-Rendite, die an die zu erwartenden Mieterträge geknüpft ist. Und bei Letzteren kommt die Mieterperspektive ins Spiel. Gerade angesichts zuletzt gesunkener Ankaufsfaktoren kann das Potenzial bei den Mieten eine Stütze nicht nur für die Cashflows, sondern auch für die Bewertungen darstellen“, erläutert Fröba.
Vereinfacht gesagt entspricht die Bewertung beziehungsweise der Verkehrswert dem Quotienten aus Jahresnettokaltmiete und erwarteter Cashflow-Rendite – oder, wenn man aus dem Kehrwert der Renditeerwartungen den Ankaufsmultiplikator errechnet, dem Produkt aus Jahresmiete und Ankaufsmultiplikator. Ceteris paribus, denn Immobilien sind Unikate, bei denen Gutachter natürlich auch noch individuelle Aspekte berücksichtigen müssen. „Aus Investorensicht steht die Immobilie im Wettbewerb mit anderen Assetklassen. Verändern sich dort die Zinsen und Renditen, werden auch an Immobilieninvestments andere Maßstäbe angelegt und die Multiplikatoren verändern sich“, ergänzt Julian Lal, Spezialist Marktresearch bei Wealthcap. Doch das sei nur eine Seite dieser Gleichung. „Genauso wichtig ist jedoch die Frage: Wie entwickeln sich die Mieten? Und das wiederum hängt von Angebot und Nachfrage unter den Mietern ab.“
Dieser Beitrag befasst sich daher mit dem Faktor Mieterträge. Von welchen Determinanten hängen diese ab? Wie haben sie sich in der Vergangenheit entwickelt, und welchen Veränderungsprozessen sind sie unterworfen? Was bedeutet das für ihre künftige Entwicklung? Und nicht zuletzt: Welche direkten Einflussmöglichkeiten haben die Eigentümer, um das Mietpotenzial ihrer Assets bestmöglich auszuschöpfen?
Die Entwicklung von Angebot und Nachfrage an den Vermietungsmärkten wird im Wesentlichen von den folgenden Determinanten beeinflusst:
Angebot
Verfügbarer Bestand
- Leerstand
Liquidität
- Flächenumsätze
Bautätigkeit
- Fertigstellungen
- Projektpipeline (konjunkturabhängig)
- Entwicklungskosten
Nachfrage
Bürobeschäftigung
- Konjunktur und Arbeitsmarkt
- Tertiärisierung
Flächenbedarf pro Beschäftigte
- Belegungsquoten (Home- bzw. Remote-Office)
Zahlungsbereitschaft der Unternehmen
- abhängig von Konjunktur und Arbeitsmarkt
Zu beachten ist dabei natürlich auch die jeweilige Entwicklung von Angebot und Nachfrage in spezifischen Clustern wie Makro-, Mikrolagen, Modernität der Gebäude und Energie-Effizienz beziehungsweise Nachhaltigkeit, da Nutzer in dieser Hinsicht durchaus einen differenzierten Fokus haben.
Zu sehen ist bereits jetzt, dass das Konjunkturumfeld vor allem auf der Nachfrage-, aber indirekt auch auf der Angebotsseite einen großen Einfluss hat, wobei eher langfristige Konjunkturzyklen den Ausschlag geben als kurzfristige Effekte. Jedenfalls handelt es sich dabei wie bei der Zinsentwicklung um einen exogenen Faktor, der nicht beeinflusst werden kann. Dafür kommen als eher qualitativ zu bewertende langfristige Megatrends hinzu, die ebenfalls Auswirkungen auf die Mietentwicklung haben und durchaus Implikationen für Immobilieneigentümer haben, da sie die Flächenqualität und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Flächen beeinflussen.
In der langfristigen Betrachtung ab 1993 lassen sich grob zwei Phasen am deutschen Büroimmobilienmarkt unterscheiden (siehe Abb. 1):
- 1993 bis 2009: Die Flächenneuzugänge (Angebot) übersteigen das geringe Wachstum der Bürobeschäftigten (Nachfrage). Die Folge waren steigender Leerstand und sinkende Spitzenmieten sowie mehr Fläche pro Beschäftigten.
- 2010 bis 2024: Dieser Trend kehrt sich um: Die Bürobeschäftigung steigt deutlich, während die Flächenneuzugänge sinken. Sinkende Leerstand und sehr stark steigende Spitzenmieten sind die Folge. Beschäftigte müssen sich mit weniger Fläche begnügen.
Abbildung 2 zeigt deutlich, wie sich die „Schere“ zwischen Bürobeschäftigung und Büroflächenbestand ab 1993 zunächst – bei einigen Schwankungen – öffnet, und dann vor allem ab 2009/2010 durch den starken Beschäftigungsaufbau rapide schließt. Der Anteil der Bürobeschäftigten an allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland ist von 1993 bis 2023 um 31 Prozentpunkte auf 63 Prozent gestiegen!
Indexierte Entwicklung von Bürobeschäftigten und Büroflächenbestand in den Top-7-Büromärkten in Deutschland . (1993=100, ab 2025 Schätzungen)
Bei genauerer Betrachtung der Bürofläche pro Beschäftigten und der Leerstandsquote lässt sich noch eine andere Bruchlinie feststellen: Bis 2019/2020 war ein essenzieller Zusammenhang zwischen beiden Kennziffern zu beobachten, die durchgehend positiv (0,88) miteinander korrelierten (siehe Abb. 3). Das erscheint intuitiv logisch: Bei steigendem Leerstand steigt auch die rechnerische Fläche pro Beschäftigten – und umgekehrt, wie ab 2009 nahezu perfekt zu erkennen ist. Doch ab 2019/2020 hat sich diese Korrelation ins Negative (–0,87) gedreht.
Entwicklung von Bürofläche/Beschäftigte und Leerstandsquote in den Top-7-Büromärkten in Deutschland. (Ab 2024 Schätzungen)
Die alte Kausalität scheint somit nicht mehr gegeben zu sein: Trotz steigender Leerstandsquote gibt es weniger Fläche pro Beschäftigten. Wie kann das sein? „Den alten Zusammenhang gibt es nicht mehr. Die Leerstandsquote steigt und gleichzeitig sinkt die Fläche pro Kopf“, erklärt Julian Lal.
Doch wenn sich eine wichtige Nachfrage-Determinante so dynamisch entwickelt – wie kann es sein, dass gleichzeitig der Leerstand steigt? Julian Lal: „Die wesentliche Ursache ist ein veränderter Belegungsschlüssel. Home- und Remote-Office mag es in geringerem Ausmaß bereits früher gegeben haben, aber seit der Corona-Pandemie rechnen die wenigsten Arbeitgeber bei einer Neuanmietung noch mit einem fixen Büroarbeitsplatz pro Beschäftigten, sondern weniger. Flächen werden somit dosierter angemietet.“
Als kurzes Zwischenfazit bleibt also festzuhalten: Die Bürobeschäftigung nimmt weiterhin zu, trotzdem mieten Arbeitgeber weniger Fläche an (Abbildung 4.1.) und der Leerstand steigt (Abbildung 4.2.). Die Belegungsquoten sind die Auflösung dieses vermeintlichen Paradoxons. Doch was macht dies mit den Mieten?
Abbildung 4.3. zeigt, dass die Spitzenmieten trotz steigender Leerstände auch nach der Pandemie weiter stark zulegen. Dieser Effekt übersteigt sogar die sinkende Fläche pro Beschäftigten deutlich.
Ø-Preis pro qm je Beschäftigten und Entwicklung der Bürofläche je Beschäftigten (jeweils indexiert auf 1993=100). Ab 2024 Schätzungen.
Entwicklung des Leerstands (in %) und Wachstum der Bürobeschäftigten (indexiert auf 1993=100). Ab 2024 Schätzungen.
Ø-Preis pro qm je Beschäftigten (indexiert auf 1993=100) und Entwicklung des Leerstand (in %). Ab 2024 Schätzungen.
„Das lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Offensichtlich reduzieren die Mieter ihre Flächen pro Kopf zum einen zwar auch aus Einsparmotiven, doch sind sie dennoch gleichzeitig dazu bereit, für hochwertigere Flächen einen entsprechenden Obolus zu bezahlen, sodass es um diese gesuchten Flächen einen harten Wettbewerb gibt, der die Mieten treibt. Die Folge: Trotz steigender Leerstände übersteigt die Nachfrage das Angebot in diesen Fällen“, stellt Ralf Fröba fest. „Und das wiederum lässt einen weiteren Schluss zu: Wir haben es hier nicht mit einem homogenen Markt zu tun, sondern mit einer Ausdifferenzierung zwischen für die Mieter attraktivere und weniger attraktive Büroflächen. Die einen erfreuen sich großer Nachfrage, die anderen finden kaum mehr Mieter. Diesen Effekt kennt die Branche inzwischen unter dem Begriff ‚Flight to Quality‘.“
Doch was sind die Ursachen und woran lässt sich das festmachen?
- Nicht nur die Mieten pro Fläche und Kopf sind langfristig gestiegen, sondern noch stärker die Produktivität (siehe Abb. 5). Allerdings ist der Abstand zuletzt etwas gesunken, was zu Flächenreduzierungen beitragen könnte, da ein Mietpreis-Premium auch verdient werden muss.
- Der Anstieg der Bürobeschäftigungszahl führt weiterhin zu einem harten Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte, für die eine ansprechende Arbeitsumgebung mit einem attraktiven Büro stark an Bedeutung gewonnen hat.
- So ergibt sich eine gegenseitige Abhängigkeit beider Seiten:
=> Arbeitgeber benötigen attraktive Flächen, um Fachkräfte zu gewinnen, die auch in die Büros kommen.
=> Vermieter müssen attraktive Flächen zur Verfügung stellen, um wiederum jene Mieter zu gewinnen, die bereit sind, die entsprechenden Mietpreise zu bezahlen. Voraussetzung dafür ist, dass sie steigende Mieten auch bezahlen können, was mit einer notwendigen Steigerung der Produktivität einhergeht.
Indexierte Spitzenmiete und BIP/Erwerbstätiger in den Top-7-Büromärkten in Deutschland (1994=100)
Der Flächenumsatz ist zugleich eng an die Entwicklung der (Büro-)Beschäftigung gekoppelt (Abbildung 6), die wiederum vom konjunkturellen Verlauf determiniert wird. Umso entscheidender ist daher eine prosperierende Wirtschaft und damit verbunden ein Durchschreiten der aktuellen Talsohle.
Im Zuge der Ausdifferenzierung sind bei zahlungskräftigen Mietern Flächen mit den folgenden Kriterien und Eigenschaften besonders gefragt:
-Hohe Flexibilität mit heterogenen, maßgeschneiderten Raumkonzepten
- Hohe Aufenthaltsqualität (Luft, Licht, Schall), hochwertige Ausstattung
- Attraktive Makro- und Mikrolage mit urbaner Umgebung oder entsprechenden Angeboten (Gastronomie, Nahversorgung) innerhalb des Objekts sowie mit guter Verkehrsanbindung
- Nachhaltigkeit und Energieeffizienz
Für eine detaillierte Betrachtung sei auf unsere Themenreihe „Future Office“ aus dem Jahr 2019 verwiesen.
„Der Ausblick für die kommenden Jahre wird von einer weiteren Spreizung der Büroimmobilienmärkte geprägt sein“, erwartet Ralf Fröba. „Für den Gesamtmarkt ist es natürlich entscheidend, ob der weitere Beschäftigungsaufbau die Flächenreduzierungen weiterhin werden kompensieren können. Beide Effekte werden voraussichtlich in den kommenden Jahren etwas abflachen. Das bedeutet, dass es ältere, von potenziellen Mietern nicht mehr als attraktiv angesehene Flächen weiterhin schwer oder noch schwerer haben werden.“
Doch auf der anderen Seite des Spektrums werde sich der Nachfrageüberhang bei modernen und qualitativ hochwertigen Büroflächen weiterhin verschärfen, so Julian Lal. „Die Neubau-Pipeline hat sich seit dem Zinsschock infolge der gestiegenen Inflation sukzessive ausgedünnt, sodass in den kommenden Jahren weniger neue Flächen auf den Markt kommen werden.“ (siehe dazu Abbildung 7) „Die stark gestiegenen – und angesichts der jüngsten Expansion der Fiskalpolitik in Deutschland womöglich nochmals steigenden – Baukosten tragen ihr Übriges dazu bei.“
Im Durchschnitt käme nach aktueller Einschätzung in den kommenden vier Jahren nur 1,3 Prozent des Flächenbestands neu hinzu – deutlich weniger als im Schnitt in den vergangenen zehn Jahren. „Und unsere Altersanalyse zeigt: Selbst 2028 werden noch mehr als 50 Prozents des Bestands von vor 1990 (Abbildung 8) datieren. Das in Verbindung mit dem anhaltenden ‚Flight to Quality‘ dürfte selbst ein Abflachen des Beschäftigungszuwachses überkompensieren“, sagt Ralf Fröba.
„Mein Fazit ist daher, dass es bei der Betrachtung der Büroimmobilienmärkte nicht allein auf die zins- und finanzmarktrelevanten Entwicklungen ankommt – so wichtig die auch sein mögen“, resümiert Julian Lal, Spezialist Marktresearch bei Wealthcap. „Es geht um eine gesamtheitliche Betrachtung: Schließlich ist der Cashflow aus den Mieteinnahmen ein wesentlicher Faktor zur Wertstabilisierung und zur Stützung der Kapitalwerte gerade in der aktuellen Phase. Die einzige Möglichkeit, dies aktiv zu steuern und positiv zu beeinflussen, ist eine Erhöhung der Mieteinkünfte. Letzteres haben Immobilieneigentümer zumindest teilweise selbst in der Hand.“
Neben den finanz- und makroökonomischen Rahmenbedingungen sei es auch das mieterseitige Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, das die Marktentwicklung bestimmt. Hierbei habe es seit der Pandemie zwar fundamentale strukturelle Veränderungen gegeben. Dennoch ist Ralf Fröba Investment Manager zuversichtlich: „Bei hochwertigen Flächen in begehrten Städten deutet auch in nächster Zeit alles auf eine erhöhte Nachfrage hin.“
Redaktionsschluss 30.06.2025.